Valentin Kockel's Tribute

Gottlieb Braun-Elwert – Erinnerungen an einen Jugendfreund

Gottlieb und ich haben uns auf dem Gymnasium Philippinum kennengelernt. Beide stammten wir aus Familien, die eng mit dem Bergsteigen verbunden waren. Großvater und Vater bei ihm aktiv in der Marburger Sektion, mein Großvater dagegen in Leipzig, mein Vater als Geologe auch beruflich stets in den Alpen tätig. Alle waren jedoch eher tüchtige Wanderer und Geher, fern von sportlichem Ehrgeiz, große Kletter- oder Eistouren zu bewältigen. So war es war selbstverständlich, dass auch die Kinder bald als Mitglieder im DAV andemeldet wurden. So kannten sie die Familien schätzten sich. Anfang der 60er Jahre entstand dann in Marburg eine kleine Jugendgruppe, die unter der begeisterten Leitung von Rolf Steinmetz zu klettern begann. Gottlieb – mit seinem älteren Bruder Rudi – und ich waren Teil dieses Kreises, der das Wohlwollen der Vereinsleitung genoss, dessen finanzielle und vor allem logistische Unterstützung. Mit der Bahn nach Butzbach und dann mit dem Rad zu den Eschbacher Klippen, später mit dem Auto auch mal an die Steinwand, zu den Bruchhauser Steinen oder gar zum Battert – das waren die Vorbereitungen zu vierzehntägigen Sommertouren in den Alpen selbst. Zuerst der Bocchette-Weg in der Brenta (1962, wir waren damals 13 Jahre alt), dann die Allgäuer Alpen (1963), Steiner Alpen in Slowenien (Sektionsfahrt 1964), Thannheimer Berge/Bernina (1965) , Geißler Gruppe/Ortler (1966) und schließlich, direkt nach dem Abitur, ein Eiskurs in den Ötztalern (1967). Man sieht, durchaus anspruchsvolle aber auch nicht zu schwierige Ziele, die uns zunächst in die Kalkalpen, dann aber auch in die Zentralalpen brachten, stets geführt von erfahrenden Bergführern. Der Tourenskilauf kam dagegen noch eher zu kurz: zwei Aufenthalte im Ferwall brachten uns fern der Alpen Lebenden nicht viel mehr als die Grundbegriffe bei. So förderte der Alpenverein unsere Beziehung zu den Bergen. Doch waren eigene Unternehmungen sicher ähnlich wichtig. Ich wurde mehrfach in der Familie Braun-Elwert als weiterer Sohn aufgenommen, wenn meine Eltern für lange Exkursionen verreist waren. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass in dem weitläufigen Haus in der Reitgasse ein ganzer Schrank für Bergutensilien reserviert war. Gottlieb kam im Gegenzug mit in unser Feriendomizil im Allgäu. Dort machten wir erste eigene Touren, eigentlich größere Wanderungen im Bereich um Füssen. Wichtig war, dass wir im Alter von 14 oder 15 Jahren erstmals in eigener Verantwortung planten, uns orientierten, Ziele setzten und auch umkehren lernten: Ich erinnere mich an eine verspätete Schneewehe in der Daumenscharte im Allgäu. Gottlieb selbst hat diese Touren später mir gegenüber als sehr wichtig für seinen Werdegang bezeichnet. Doch auch umgekehrt ging ich mit Braun-Elwerts auf Tour. Marburger Hütte und Schrottspitze sowie der Ortler blieben mir in Erinnerung.

Diese Schulzeit war sicher wichtig für Gottliebs Lebensweg, doch scheint sie mir im Rückblick noch nicht entscheidend für seine spätere Tätigkeit gewesen zu sein. Gottlieb war als Kletterer kein Überflieger, nicht unbedingt 'besser' als wir anderen, aber hartnäckig, zäh und entschlossen. Auch Wissen oder Sprachen erarbeitete er sich. Diese entschiedene Zielstrebigkeit sollte seinen Lebensweg prägen. Neben der Schule gab es auch Anderes: die Bratsche, deren Erlernen wohl eher einer Konvention als einer Neigung geschuldet war und die die Konkurrenz zum Klettern nicht überstand; die Holzarbeit, insbesondere das Drechseln; das Photographieren, erst mit einer kleinen Kodak Retinette, viel später mit einer großen Mittelformatkamera, mit der er seiner gestalterische Begabung besser gerecht werden konnte. Seine Bilder erschienen in Zeitschriften, viele, wenn nicht alle Abbildungen seiner Website stammen von ihm und zeugen auch von seinem Interesse an der Pflanzen- und Tierwelt.

Nach der Schulzeit trennten sich – wie so oft – zunächst unsere Wege. Ich leistete meinen Ersatzdienst im Flachland ab, Gottlieb seinen Militärdienst bei den Gebirgsjägern in Berchtesgaden. In dieser Zeit muss seine endgültige Leidenschaft für extremes Bergsteigen entstanden sein. In diese Zeit gehören auch schwere Stürze, die ihn – wie er selber sagte – an die alte Maxime von Franz Nieberl erinnerten, dass es leichter sei ein guter Kletterer zu werden als ein alter. Er hat diese Phase glücklich überstanden. Mein Archäologiestudium ließ im Sommer keine Zeit mehr für Touren, doch zwei letzte große Unternehmungen konnte ich noch mit Gottlieb zusammen machen: in das Frühjahr 1971 fiel eine große Tauerndurchquerung, in das folgende Jahr die Haute Route mit der Besteigung von Mont Blanc und Monte Rosa. Zwar hatten wir in den Tauern noch einen Führer, doch wirkte Gottlieb als ausgebildeter DAV-Führer schon sehr selbstständig und die Routenbeschreibung war wohl seine erste Publikation in einer renommierten Bergzeitschrift. Auf der Haute Route lernte ich ihn dann so kennen, wie er auch später als Bergführer gewirkt haben muss: Anspruchsvoll gegenüber sich und seinen Seilgefährten, aber auch voller Verantwortungsgefühl und einfühlsamer Rücksichtnahme auf deren Stärken und Schwächen. Der so ehrgeizige junge Mann konnte sich in der ihm zugewachsenen Verantwortung eben auch zurücknehmen, wenn es für die Gruppe sinnvoll erschien.

Für mich war es die letzte große Tour mit ihm. Gottlieb studierte damals Physik in München und spezialisierte sich auf Atomphysik in Garching, einen Themenkomplex, in dem er dann auch seine Diplomarbeit schrieb. Seine Kenntnis der Dinge bereitete ihm Sorgen, Atomtechnologie hielt er nicht unbedingt für sicher. Dann kam in München die Diskussion und schließlich die Entscheidung für den Bau eines neuen Flughafens im Erdinger Moos, nicht nur für ihn ein großer Umweltfrevel. Eine Reise brachte ihn nach Neuseeland, wo er sowohl einen atomfreien Staat wie eine weite, unberührte Landschaft fand. Äußerst glücklich war für ihn das Zusammentreffen mit Anne, mit der er dann seine zweite Ehe einging. Sie ermöglichte ihm das Auswandern nach Neuseeland und unterstützte ihn dann treu bei der Verwirklichung dessen, was wohl sein Lebenstraum geworden war. In seiner Jugend war dieser Schritt nicht angelegt, es war eine radikale und riskante Wende in seinem Leben. Seine Klassenkameraden haben diesen Weg mit Erstaunen und auch Bewunderung verfolgt – nur wenige haben es gewagt, sich so weit nicht nur räumlich zu entfernen. Regelmäßige Besuche in Deutschland und Marburg und vereinzelte Begegnungen zeigten aber auch, dass ihm die Erinnerung und die Anteilnahme am Geschick der alten Freunde wichtig geblieben waren. Gottlieb wirkte zäh und vom Wetter gegerbt – mir fielen seine sehr kräftigen Hände auf. Er hatte zu sich gefunden und strahlte ernste Entschiedenheit aus. Aber er lachte auch gern und laut in Erinnerung an irgendwelche fernen Scherze aus der Schulzeit, wie sie bei solchen Treffen wieder erzählt werden.

 

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